Oliver KönigBlogKonzeptbrief: Transformationale Führung

Konzeptbrief: Transformationale Führung

In diesem Beitrag wollen wir Ihnen einen Konzeptbrief zum Thema „Transformationale Führung“ vorstellen. Diesen Konzeptbrief haben wir im Mai 2017 für einen Kunden erstellt, der den Wunsch hatte, sich zu diesem Thema fortzubilden. Der von uns erstelle Konzeptbrief bot hierfür eine konzise und dennoch tiefgehende Zusammenfassung.

Leitende Fragestellungen für den Konzeptbrief

  • Was ist transformationale Führung?
  • Welche Unterschiede gibt es zu transaktionaler Führung oder lateraler Führung?
  • Ist diese Form der Führung auch nur alter Wein in neuen Schläuchen? Welche Neuerungen stecken in dieser Art der Führung?
  • Welche Haltung, welches Verhalten ist verknüpft mit transformationaler Führung und wie wird mit Umwelterwartungen umgegangen?

Eine kurze Definition – was ist transformationale Führung?

„Wesentliches Kennzeichen der transformationalen Führung ist eine „Transformation“ – also eine Veränderung der Mitarbeiter. Diese Transformation beinhaltet nach Bass (1985), 1) die Mitarbeiter zu Leistungen zu bewegen, die jenseits des Erwarteten liegen, 2) die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter auf die für das Unternehmen wichtigen Belange zu richten und 3) die Mitarbeiter dazu zu bringen, über die Verfolgung ihrer individuellen Interessen hinauszugehen und sich für das Wohl des Unternehmens einzusetzen. […] Transformationalen Führungskräften gelingt es also durch die Beeinflussung von Werten und Einstellungen der Mitarbeiter, deren Motivation und damit auch deren Leistung zu steigern.“ (Pundt/Nerdinger 2012, S. 31f.)

Der historisch-kulturelle Entstehungskontext – wie entstand das Konzept?

Das Konzept transformationaler Führung wurde aufbauend auf der Theorie des Politologen James Macgregor Burns Mitte der 80er Jahre von Bernard M. Bass und Bruce Avolio im Rahmen des „Full Range of Leadership“ Modells entwickelt. Es lässt sich dem Ende der 70er Jahre beginnenden Paradigmenwechsel in der Mitarbeiterführung zuordnen. In dieser Zeit entstanden eine Vielzahl neuer Führungsansätze und -konzepte. Das gemeinsame Merkmal dieser Konzepte war die Erweiterung des extrinsisch motivierten „homo oeconomicus“ um intrinsische Motivationsfaktoren, sowie der Fokus auf personenbezogene Führungsqualitäten, die unter dem Stichwort „charismatische Führung“ eingehend untersucht wurden. Die kulturelle Prägung der USA durch Individualismus und Selbstverwirklichung boten dem Konzept einen geeigneten Nährboden, um in der Folge große Popularität und Anwendung zu finden.

Die lange Definition – was ist der Unterschied zu transaktionaler und lateraler Führung?

Wie der Name bereits andeutet wollen Bass und Avolio in ihrem Full Range of Leadership Modell die gesamte Bandbreite des Führungsverhaltens beschreiben. Dabei ordnen Sie verschiedene Führungsprinzipien auf einem Achsenkreuz nach dem Grad der Aktivität und Effektivität und kommen so auch zur Unterscheidung zwischen transaktionaler und transformationaler Führung (vgl. Abb. 1). Die Grundannahme ist hier, dass die transformationale die transaktionale Führung ergänzt und nicht ersetzt. Führungskräfte bedienen sich zumeist in unterschiedlicher Häufigkeit und Intensität allen zugrundeliegenden Prinzipien. Man könnte die Prinzipien der transaktionalen Führung als formelle Mechanismen auf Basis der Hierarchie und die Prinzipien der transformationalen Führung als informelle Mechanismen der Steuerung bezeichnen.

Transaktionale Führung beschreibt demnach ein Verhalten, das auf den Prinzipien des operanten Konditionierens beruht. Es werden gemeinsame Ziele definiert, deren Erreichung belohnt bzw. deren Nicht-Erreichung bestraft wird. Ausschlaggebend sind extrinsische Motivationsfaktoren. Das Eingreifen der Führungskraft ist nur dann nötig, wenn das Verhalten oder die Zielerreichung nicht dem Soll entspricht (Management by Exception).

Abb 1.: Full Range of Leadership (eigene Darstellung, nach Pundt/Nerdinger 2012, S. 33)

Transformationale Führung erweitert dieses Konzept um intrinsische Motivationsfaktoren, eine emotionale und individuelle Ansprache der Mitarbeitenden und eine generelle Sinn- und Werteorientierung. Damit soll ein höheres Maß an Effektivität erreicht werden. Mitarbeiter verbessern ihre Leistung durch höhere Motivation und Anstrengung. Gleichzeitig soll ein Perspektivenwechsel von subjektiven Zielen hin zur gemeinsamen Unternehmensvision angeregt werden. Im Unterschied zur transaktionalen Führung, bei der das Verhalten der Führungskraft als Person keine besondere Rolle spielt, hängt der Erfolg der transformationalen Führung in entscheidendem Maß von der charismatischen und visionären Kraft der Führungskraft ab. Von der charismatischen Führung wiederum unterscheidet sich die transformationale vor allem darin, dass sie über die Identifikation mit der Führungskraft, über die (blinde) Gefolgschaft, hinausgeht und die Organisation als zentralen Referenzpunkt setzt, sowie eine moralische Entwicklung hin zu mehr Mündigkeit und Eigeninitiative impliziert.

Laterale Führung hat ganz andere Vorzeichen als die vorangehenden Führungsstile. Sie bezieht sich auf Führung in weniger bis nicht hierarchisch strukturierten Konstellationen, zum Beispiel in Projekten, Netzwerken. Dennoch oder gerade deshalb bedient sie sich ganz ähnlicher Prinzipien wie die transformationale Führung. Wenn auf direkte Weisungsbefugnis nicht zurückgegriffen werden kann, so treten Vertrauen, Charisma und Kommunikation in den Vordergrund, um durch Argumente zu überzeugen und einen Konsens finden zu können. Von Vorteil ist es dabei, wenn die Führungskraft auf eine klare Aufgaben- und Rollendefinition zurückgreifen kann. Während es bei der lateralen Führung hauptsächlich um die Durchsetzung von Interessen und Zielen geht, beinhaltet transformationale Führung ebenso eine entwicklungs- und wertebezogene Dimension, in der die Führungskraft als Mentor und Coach gefragt ist.

Die 4 „I“s – Prinzipien transformationaler Führung

In den vier Prinzipien des transformationalen Führens beschreiben Bass und Avolio (1994) die Haltung und das Verhalten einer transformationalen Führungskraft.

  1. Idealisierte Einflussnahme (Identification): Mit diesem Prinzip ist die Vorbildfunktion gemeint, denn die Einflussnahme soll hier über die Identifikation mit der Führungskraft selbst vonstattengehen. Die Führungskraft soll in punkto Glaubwürdigkeit, Zielerreichung und Integrität als Ideal dienen und dadurch Respekt und Vertrauen bei ihren Mitarbeitenden erzielen.
  2. Inspirierende Motivierung (Inspiration): Transformationale Führungskräfte motivieren ihre Mitarbeiter über gemeinsam entwickelte Visionen. Diese attraktiven Zukunftsbilder und sich daraus ergebende Ziele sollen Sinn stiften und die (Zusammen-)Arbeit erleichtern.
  3. Intellektuelle Stimulierung (Stimulation): Angeregt werden sollen vor allem Eigenständigkeit und Problemlösefähigkeit. Es geht darum, dass Mitarbeitende selbständig und proaktiv neue, und kreative Lösungen finden und auch altbewährte Routinen hinterfragen.
  4. Individualisierte Berücksichtigung (Consideration): Damit wird der Grundsatz beschrieben, dass transformationale Führungskräfte individuell auf ihre Mitarbeitenden eingehen und in den Rollen als Coach oder Mentor das jeweilige Potential entdecken und durch entsprechende Aufgaben für Wachstum und Entwicklung sorgen.

Verhalten, Wirkung und Wirkmechanismen transformationaler Führung

Pelz (2013) greift diese Prinzipien auf und übersetzt sie in konkrete Verhaltensregeln für Führungskräfte und verknüpft diese mit Verhaltenswirkungen auf Seiten der Mitarbeitenden. Demnach geht es vor allem darum, vorbild zu sein, um Loyalität zu erzeugen, Eigeninitiative anzuregen (Stimulaion), um Lernbereitschaft zu fördern, fair zu kommunizieren (Consideration), um Teamgeist zu ermöglichen, Kompetenzen zu entwickeln (Enabling), um Selbstdisziplin zu stärken, unternehmerisch zu handeln (Innovation), um Verantwortung zu erwecken und die Mitarbeitenden herauszufordern (Inspiration), um Leistungsbereitschaft zu generieren. Aus Sicht von Pelz führt transformatioanle Führung damit immer zu höherer Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit und letztlich zu mehr Rentabilität. In dieser Grafik sind die Wirkungsweisen transformationaler Führung bildlich dargestellt.

Der transformationale Führungsstil wurde eingehend erforscht. Empirische Studien belegen die Wirksamkeit im Allgemeinen und Relevanz im Kontext von Veränderungsprozessen (für eine Übersicht über den aktuellen Stand der Forschung vgl. Pundt/Nerdinger 2012, S. 34ff.). Die für den Erfolg transformationaler Führung verantwortlichen Mechanismen liegen demnach insbesondere in der Übernahme der Werte der Führungsperson, der Internalisierung der Vision, sowie in der Entwicklung von Vertrauen und Optimismus für die Zukunft.

Neuer und alter Wein – und was heißt eigentlich „neu“?

Hier muss man unterscheiden; zur Zeit der Entstehung des Ansatzes bedeuteten viele der Prinzipien einen fundamentalen Wandel im Führungshandeln und waren demzufolge ein neuer Impuls. Die breite Rezeption in Theorie und Praxis hatte zur Folge, dass die Ideen und Prinzipien der transformationalen Führung in viele Führungskonzepte Eingang gefunden haben. Dass Führungskräfte eine Vorbild- und Orientierungsfunktion innehaben, dass die persönliche Beziehung zu ihren Mitarbeitenden von Vertrauen, Respekt und Anerkennung geprägt sein sollte, ist demnach heute eher Selbstverständlichkeit als bahnbrechende Erkenntnis. Der zentrale Aspekt der Werteentwicklung, bekommt heute ein größeres Gewicht, da immer mehr Firmen die privaten und persönlichen Anteile eines Mitarbeiters in ihre bewussten Überlegungen zur eigenen Unternehmenskultur mit einfließen lassen.

Vor diesem Hintergrund passt es eher ins Bild, dass Neuberger (2002) von einem „wieder erwachte[m] Interesse an charismatischer, visionärer, heroischer, transformierender Führung“ spricht. Er beobachtet – zumindest im Diskurs – eine Renaissance dieser Führungsprinzipien und führt dafür sieben mögliche Gründe an (vgl. ebd., S. 215ff.).

Die neuesten Begriffe im Führungs-Vokabular

  • Clear Leadership: Dieser Ansatz fokussiert sich darauf, „Störgeräusche“ in der Beziehung und Kommunikation zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden auszuschalten.
    • Video: Der Begründer Gervase R. Bushe spricht über die Idee und Umsetzung von Clear Leadership.
  • Führungskraft als Coach: Dass Führungskräfte auch als Coach agieren, ist ein relativ neuer Ansatz, der unter dem Gesichtspunkt der damit verbundenen ‚Doppelrolle‘ heute kontrovers diskutiert wird.
  • Shared Leadership: Auch unter den Namen ‚kollaborative‘ oder ‚komplementäre‘ Führung bekannt, beschreibt die ‚geteilte Führung‘. Ein Ansatz, bei dem die Führungsleistung auf mehrere Personen im Team verteilt wird.
    • Artikel: Prof. Albrecht über das zukunftsweisende Konzept, Matrosen das Steuer übernehmen zu lassen
  • Leadership 4.0: Unter diesem Namen werden Führungskonzepte diskutiert, die angesichts der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung zukunftsfähig sind. Vernetzt, partizipativ und agil sind dabei die Stichworte.
    • Zeitschrift: Das Personalmagazin widmete diesem Thema 2016 eine eigene Ausgabe
  • Postheroisches Management: Ein auf Basis der Systemtheorie entwickelter Ansatz, bei dem Kausalität und Steuerung durch Kontingenz und Kooperation ersetzt werden.
    • Buch: Prof. Dirk Baecker – Postheroische Führung: Vom Rechnen mit Komplexität.

Der Blick in die Organisation – zu welchen Personen und Kontexten passt transformationale Führung?

Die Prinzipien transformationaler Führung eignen sich generell zur Anreicherung des Führungsverhaltens, unabhängig von Personen und Kontexten. Die zu erwartende gesteigerte Motivation und Leistung der Mitarbeitenden ist dabei ein Argument das der Großteil der am Markt befindlichen Unternehmen nicht ausschlagen wird. Ihr volles Potential entfaltet transformationale Führung dort – und insofern passt sie optimal in die aktuellen Entwicklungen und den digitalen Zeitgeist – wo ein dynamisches Umfeld vorherrscht. Je vielfältiger das Umfeld und je schneller sich Veränderung von Märkten, Wissensbeständen und politischen Rahmenbedingungen vollzieht, desto stärker sind Unternehmen gezwungen sich dezentral aufzustellen. Je dezentraler ihre Aufstellung, desto weniger hierarchische Einflussmöglichkeiten gibt es und umso mehr laterale Kooperationsbeziehungen entstehen. Unter diesen Umständen benötigt es einen Führungsstil, der die Mitarbeitenden zu Eigeninitiative und proaktiver Lösungsfindung anregt, eine tragende Unternehmens- und Teamvision, sowie eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter. Bereits Max Weber hat festgestellt, dass in krisenhaften und strukturlosen Situationen ein auf Charisma und Visionskraft basierendes Führungsverhalten besonders effektiv ist. Und genau hier liegt auch ein Knack- und Kritikpunkt des transformationalen Führungsstils, denn nicht jede Führungskraft ist imstande, die hohen Anforderungen in punkto Charisma und (Werte-)Vorbild zu erfüllen. Über die persönlichen Eigenschaften hinaus braucht es strukturelle Voraussetzungen, um transformational führen zu können. Grundlage für transformationale Führung ist eine partizipative und kooperative Grundhaltung und die Einbindung aller Beteiligten. Eine Unternehmenskultur, die eher direktiv ausgerichtet ist, die eine Diskussion über Hierarchieebenen hinweg kaum zulässt und Kommunikationswege einfordert, die sich eng an formale Strukturen halten, erschwert das offene Gespräch, das Ansprechen von Schwierigkeiten und vertrauensbildende Aktivitäten. Auch wenn in Organisationen Einzel- oder Bereichsinteressen im Vordergrund stehen und keine gemeinsame und gelebte Vision vorhanden ist, bleibt transformationale Führung auf Einzelpersonen beschränkt und trägt nicht zur gesamten Unternehmensentwicklung bei. Verkürzt gesagt: Transformationale Führung kann für Führung nach unten oder als laterale Führung helfen, bleibt aber Fleißarbeit, wenn Führung nach oben und bezogen auf die Gesamtorganisation nicht transformational gelebt wird.

Menschliche Qualität und Führung

All diese Führungsqualitäten in den oben aufgeführten Abschnitten klingen sehr gut und schlüssig. Wie kann eine Führungskraft in der Praxis und bei der Bewältigung der täglichen Herausforderungen weiter an transformationale Führung erinnert werden? Um als Vorbild voranzugehen und Werte vorzuleben, kann es hilfreich sein, sich als Führungskraft zunächst seiner eigenen Werte bewusst zu werden und sein Handeln daraufhin zu überprüfen, inwieweit es sich im Einklang mit diesen bewegt. Es reicht nicht aus, sich mehr oder weniger kompatible Unternehmenswerte auf die Fahne zu schreiben. Glaubwürdigkeit, als notwendige Voraussetzung für transformationale Führung, entsteht erst dann, wenn es Führungskräften gelingt, authentisch zu sein, Versprechungen einzuhalten und die Ansprüche an andere auch selbst umzusetzen. Wenn eine Haltung kultiviert werden kann, die Mitarbeitenden in ihren Herausforderungen zu ermuntern und zu ermutigen, ihnen den dafür nötigen Spielraum und ggf. Entwicklungszeit zu geben, sind die Prinzipien transformationaler Führung bereits zu weiten Teilen erfüllt.

Sind es nicht eigentlich menschliche Qualitäten, die transformationale Führung ausmachen? Qualitäten, die zu Vertrauen und Engagement führen? Und dahin, dass sich Mitarbeiter nicht alleine gelassen, sondern gesehen, anerkannt und unterstützt fühlen?

Fragen zur Selbstreflexion

  • Welche Führungskraft eines Kunden/in meinem Unternehmen könnte von transformationaler Führung profitieren?
  • In welcher Dienstleistung könnte transformationale Führung eine Rolle spielen?
  • Was stimmt mich nachdenklich, womit möchte ich mich eingehender beschäftigen?

Quellen

  • Bass, Bernard M.; Avolio, Bruce (1994): Improving organizational effectiveness through transformational Leadership.
  • C/O/N/E/C/T/A (2010): Führung leben. Praktische Beispiele – praktische Tipps – praktische Theorie.
  • Hofbauer, Helmut; Kauer, Alois (2014): Einstieg in die Führungsrolle. Praxisbuch für die ersten 100 Tage.
  • Kühl, Stefan (2017): Laterales Führen. Eine kurze organisationstheoretische informierte Handreichung.
  • Lang, Rainhart; Rybnikova, Irma (2014): Aktuelle Führungstheorien und -konzepte.
  • Neuberger, Oswald (2002): Führen und führen lassen: Ansätze, Ergebnisse und Kritik der Führungsforschung.
  • Pelz, Waldemar (2013): Auf die Probe gestellt. Personalmagazin 01/2013.
  • Pundt, Alexander; Nerdinger, Friedemann W. (2012): Transformationale Führung – Führung für den Wandel? In: Grote, Sven (Hrsg.): Die Zukunft der Führung, S. 27-45.

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