Kollegiale Führung – Führungsarbeit im Team
Führungskraft oder Führungsarbeit?
Über das Beraternetzwerk von Wengel & Hipp wurde eine interne Fortbildung organisiert, die alle Berater in 2×2 Tagen in der Anwendung von agilen Instrumenten und Prozessen qualifiziert. Die Fortbildung wird durchgeführt durch Carsten Holtmann von nextU, die das sehr fundierte und reichhaltige Buch „Das kollegial geführte Unternehmen“ herausgegeben haben. Ich persönlich kannte das Buch schon im Vorfeld und freute mich auf eine Vertiefung der Inhalte.
In diesem Blogartikel möchte ich über meine Erkenntnisse und Ideen von der Fortbildung berichten. Zunächst soll es um den Begriff der kollegialen Führung und deren Einsatzmöglichkeiten gehen.
Kollegiale Führung / Führungskraft / Führungsarbeit
Immer wieder wurde während der Fortbildung über die unterschiedlichen Begrifflichkeiten von Agilität über kollegiale Führung, die Verantwortung der Führungskraft und geteilte Führungsarbeit gesprochen. In der Fortbildung ging es darum, dass wir Modelle, Prozesse und Ideen an die Hand bekamen, um eine Organisation im Übergang zu einer Organisationsstruktur zu begleiten, in der unternehmerische Verantwortung und Führung in der Organisation als gemeinsame Leistung gelebt wird.
Für viele von uns war dieser radikale Schritt im Denken oft anspruchsvoll und ungewohnt. Von einem Berater, der viel in Großkonzernen mit oberen Führungskräften arbeitet, kam immer wieder der Einwand: „Ist denn kollegiale Führung besser? Sind diese Rollen, die in einer kollegial geführten Organisation notwendig sind, nicht oft bei einer guten Führungskraft automatisch im Repertoire? Und ist es automatisch schlecht, wenn eine gute Führungskraft in einem hierarchischen Unternehmen die Dinge über hierarchische Macht umgesetzt? Worin liegt der Mehrwert, wenn Führungsarbeit auf alle Verantwortliche übertragen wird?“
Dieser Einwand war wichtig, um uns klar zu machen, dass es bei kollegialer Führung nicht um einen schon bestehenden Grad von Aufgabendelegation geht. Die kollegiale Führung geht noch weiter, splittet Führungsarbeit auf und verteilt sie auf alle Köpfe eines Teams (Kreis genannt). So entsteht Partizipation und Mitdenken von vielen Beteiligten, die nicht mehr nur in einzelnen Aufgaben, sondern in Bezug auf den übergeordnete Sinn des Kreises denken.
Einen entscheidenden Unterschied zwischen einem klassisch hierarchisch organisierten Unternehmen und einer kollegial geführten Organisation liegt in den Vereinbarungen über Entscheidungsprozesse. So ist die Hierarchie synonym für Entscheidungsbevollmächtigte. Je weniger sich eine Führungskraft für eine Entscheidung bevollmächtigt fühlt, desto eher reicht er die Problemlösung eine Ebene nach oben. In der kollegialen Führung bleibt das auftretende Problem in der Peripherie. Praktisch bedeutet dies, dass Entscheidungen bei denjenigen getroffen werden (können), bei denen das Problem auftritt.
Als Beispiel nehmen wir an, dass im Vertrieb ein Kunde mit einem Wunsch auf den Vertriebler zugeht. Liegt die Entscheidungsmacht im Vertriebsteam, könnte der Vertriebler diesen Wunsch in einen interdisziplinären Kreis mitnehmen und dort besprechen. So kann ein umfassendes Bild (Wollen wir diesem Wunsch entsprechen? Haben wir die Kapazitäten dazu? Bis wann könnten wir den Wunsch bedienen? Wäre dieser Wunsch für andere Kreise interessant? Was heißt diese Anfrage für unsere Produkte und unsere Angebote? Wie könnte ein passendes Angebot aussehen? …) entstehen, das eine fundierte Entscheidung begünstigt. Diese Entscheidung kann dem Kunden (potentiell) schneller zugespielt werden, als eine Wanderung des Problems durch die Hierarchie.
Dafür sind drei Voraussetzungen notwendig:
- Die Organisation muss in Kreislogik gebaut und sinnvoll zusammengesetzt sein.
- Innerhalb der Organisation braucht es die volle Autorisation der äußeren Kreise zur Entscheidungsfreiheit.
- Es braucht Mitarbeiter, die gerne in freien Strukturen arbeiten und Teams, die für unterschiedliche Situationen passende Entscheidungswerkzeuge verwenden können.
Wo und wie kann kollegiale Führung einen Mehrwert bieten?
Aus meiner Sicht wird kein Konzern vollständig zu kollegialer Führung übergehen. Hier meine Gedanken zu unterschiedlichen Graden der Umsetzung:
Konzern, AG, große Organisation:
Hier herrscht oft hoher Druck, große Schnelligkeit – das Umsetzen steht im Vordergrund. Kollegiale Führung kann in Innovations- und Forschungsabteilungen oder in Projekten (dann meistens in Form von Scrum) zum Einsatz kommen. Je mehr eine Führungskraft in lateraler Führungsverantwortung ist oder die Teams stark Netzwerk-/Matrix-artig/interdisziplinär zusammengesetzt sind, desto eher kann sich der Einsatz von kollegialer Führung lohnen. Die Tools zu Teamrollen, Entscheidungsfindung, Feedbackprozessen und Kanban helfen, um bei komplexen Themen die passenden Prozesse anzustoßen, um damit neue integrierte Lösungen zu finden. Herausforderung ist dabei die Identifikation von passenden Bereichen innerhalb der Organisation.
Mittelständler:
Bei mittelständischen Unternehmen ist die Haltung des Entscheiders ausschlaggebend. Ideen der kollegialen Führung stoßen bei denjenigen auf Anklang, die sowieso schon menschliche Werte und ein kollegiales Miteinander in den Vordergrund gestellt haben. So liefert kollegiale Führung einen konzeptionellen Hintergrund, um die Organisationsstruktur und Führungsthemen an die vorhandene Kultur anzupassen. Das beschleunigt Entscheidungen und hebt die Organisation auf ein professionelleres Level. In dieser Situation ist der Übergangsprozess für die gesamte Organisation die Herausforderung.
Kleinbetriebe:
In Kleinbetrieben sind meist noch keine festen Strukturen eingezogen, Jeder spricht mit Jedem. Ad-hoc-Arbeiten und situativ neues Agieren ist an der Tagesordnung. Führung ist meist Chefsache und wird oft durch die hohe fachliche Beteiligung des Unternehmens am Tagesgeschäft verdrängt. Hier kann kollegiale Führung Rollen auf der Metaebene einführen, die Führungsverantwortung auf mehrere Schultern verteilt. Nicht mehr „alle schauen auf den Chef“, sondern sind mitverantwortlich für unternehmerische Entscheidungen. Hier ist des gemeinsame Verständnis zu gemeinsamen Führungs- und Entscheidungsprozessen und die Verteilung von Verantwortung passend. Oft einhergehend mit der Entlastung des Geschäftsführers/Inhabers.
Alle drei Kontexte sind spannend und herausfordernd. Und immer müssen die Landkarten, Denkweisen und Methoden auf die jeweilige Situation angepasst adaptiert werden.
Bei mir merke ich durch die Fortbildung ein Umdenken: Statt Agilität als Containerbegriff zu verwenden, schärfen sich bei mir die Anwendungsmöglichkeiten und der Praxisbezug.
In einem weiteren Blogartikel werde ich über den Prozess der Einführung von kollegialer Führung und über Tools und Entscheidungswerkzeuge berichten.
8. Juni 2018